Stereotype Vorstellungen und Klischees bestimmen unser Bild von jüdischem Leben und dem Judentum. Was verstehen wir unter jüdischer Identität? Was macht eine:n zur Jüdin oder zum Juden? Wie umfänglich ist die Macht von Fremdbezeichnungen und Zuschreibungen und wie verhalten sich diese zum alltäglichen Leben von Jüdinnen und Juden? Die Ausstellung IRGENDWAS MIT JÜDISCH zeigt sieben gefühlte Wahrheiten von sieben Jüdinnen und Juden aus oder mit Bezug zu Augsburg über ihre eigene, sehr persönliche jüdische Identität. Gefühlte Wahrheiten haben keinen Anspruch auf Objektivität, sie sind ebenso subjektiv wie die eigene Selbstwahrnehmung.
In der Ausstellung beantworten sie Fragen zu Geburt/Konversion, über Lifestyle und Gebote bis hin zu Diskriminierung und Minderheiten. Die Ausstellung verzichtet bewusst auf stellvertretende Biografien, die befragten Personen bleiben anonym. In einer Ästhetik, die mit gängigen Klischees bricht, machen die gefühlten Wahrheiten die Vielfalt jüdischer Identitäten sichtbar. Mit einem Augenzwinkern wollen sie die Besucher:innen anregen, ihre Erwartungshaltungen und Vorstellungen vom Jüdischsein zu reflektieren. Denn nicht Museen oder andere Institutionen bestimmen was jüdisch ist, sondern die befragten Menschen selbst.
IRGENDWAS MIT JÜDISCH ist ein Projekt von Studierenden der Universität Augsburg in Kooperation mit dem Jüdischen Museum Augsburg Schwaben. Sie wurde kuratiert von Elisabeth Gundlach, Ines Molz, Barbara Staudinger und Rebekka Utesch. Wir bedanken uns bei allen Interviewpartner:innen, ohne die eine Ausstellung wie diese nicht hätte umgesetzt werden können.
Die ‚eine‘ jüdische Sprache gibt es nicht. Sei es Jiddisch, Hebräisch, Russisch, Englisch oder Deutsch, sie alle eint eine Vielzahl von Sprecher:innen. Welche Sprache von Jüdinnen und Juden gesprochen wird, ist sowohl eine individuelle Entscheidung als auch historisch gewachsen. Während Jiddisch von nicht-jüdischen Menschen häufig als die ‚jüdische Sprache‘ gesehen wird, ist die Zahl der Sprecher:innen mit der Schoa auf rund 1,5 Millionen Menschen weltweit gesunken und findet sich vor allem in ultraorthodoxen Gemeinden wieder. Zugleich ist Hebräisch (Iwrit) Amtssprache in Israel und dient als Sprache der Religionsausübung. Hebräisch oder Jiddisch zu sprechen kann als ein Akt der Selbstermächtigung von Jüdinnen und Juden gesehen werden, die so ihre Verbundenheit mit Eretz Israel oder ihren Traditionen ausdrücken wollen. Doch ein nennenswerter Teil der Jüdinnen und Juden lebt in Deutschland und spricht Deutsch, sei es durch Migration oder durch die Schoa bedingt. Was macht es mit Jüdinnen und Juden, die Sprache des Täterlandes zu sprechen? Sprache ist Ausdruck einer Haltung, einer Deutungshoheit, Ausdruck von Selbstbestimmung und -ermächtigung des Sprechenden, sie ermöglicht den Austausch und kann Dialoge eröffnen. Somit ist die ‚jüdische Sprache‘ jede Sprache, die zur verbalen und nonverbalen Kommunikation genutzt wird.
Fluchen auf Arabisch
Witze funktionieren auf Deutsch
Kulturelle Codes
Hebräisch bleibt Muttersprache
Jede Sprache ist für etwas gut
Authentizität ist die romantischste Sprache
Das Judentum ist heute in Deutschland eine anerkannte Religionsgemeinschaft. Organisiert ist es in Israelitischen Kultusgemeinden (IKG), aber auch in anderen Formen der Gemeinschaft, die nicht durch diesen Dachverband vertreten sind. Jüdisch zu sein bedeutet nicht unbedingt, Mitglied einer IKG zu sein, genauso wenig wie es bedeuten muss, dass ein Mensch gläubig ist oder religiöse Gebote befolgt. Vielmehr ist das Verhältnis von Jüdischsein, Glaube und Religion oft vielschichtig und auch durch andere Faktoren bestimmt, deren kleinster gemeinsamer Nenner Grundwerte wie die Zehn Gebote sind. Als Jüdinnen und Juden Angehörige einer Minderheit zu sein bedeutet für Viele das Bedürfnis nach Zusammenschluss, und lässt den Wunsch entstehen, auch rechtlich vertreten zu sein – auch wenn die durch Migration und unterschiedliche kulturelle Traditionen geprägte Gemeinschaft nicht immer konfliktfrei ist. Noch immer ist es in Deutschland nicht selbstverständlich, jüdisch zu sein. Dies liegt unter anderem daran, dass die meisten nicht-jüdischen Menschen keine Jüdinnen und Juden kennen. Vorurteile und stereotype Bilder halten sich besonders gut in einer Gesellschaft ohne persönlichen Kontakt zur Minderheit.
Glaube
Minderheit sein
Grundwerte
Israelitische Kultusgemeinde
Identität wird stark durch das soziale Umfeld beeinflusst. In den Jugendjahren lösen sich Kinder von ihren Eltern und finden ihre ‚found families‘, die auch Menschen dazuzählen können, mit denen sie nicht verwandt sind. Soziale und geografische Herkunft, Religion und Kultur können auch über die Kernfamilie hinaus ein Zusammengehörigkeitsgefühl einer solchen ‚found family‘ verstärken. Die ‚jüdische Familie‘ ist in der Wahrnehmung von Außen weitgehend stereotyp. Dies beginnt beim Klischee der umsorgenden jüdischen Übermutter und endet bei der Vorstellung, es gäbe einen speziellen jüdischen Familiensinn. Dabei gibt es auch bei Jüdinnen und Juden eine ebenso große Vielfalt an familiärem Zusammenleben wie unter der nicht-jüdischen Mehrheitsbevölkerung. Die Tatsache, einer Minderheit anzugehören, die gemeinsame, wenn auch unterschiedlich gelebte Religion, das antifaschistische Erbe und das Generationen übergreifende Erbe der Schoa, aber auch Migrationserfahrungen, die viele Jüdinnen und Juden in Deutschland teilen, tragen in unterschiedlicher Weise dazu bei, dass weit über die individuelle Familie hinaus ein Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen kann.
Sprache
Antifaschismus
Kultur
Heimat
Name
Religion
Lifestyle – dieses neumodische Wort. Überall stößt man darauf. Es gibt Lifestyle Magazine, Coaches oder sogar Hotels. Der Duden beschreibt das Wort ‚Lifestyle‘ als die charakteristische Art und Weise das eigene Leben zu gestalten. Dabei umschließt es alle Aspekte, die den Alltag bewusst oder unbewusst beeinflussen. Das können Werte sein, die einem von klein auf im sozialen Umfeld vorgelebt wurden, eine kulturelle Zugehörigkeit mit verschiedenen Traditionen oder eine Religion, um ein paar Beispiele zu nennen. Gerade die letzten beiden Punkte können unseren Alltag durch Werte und Gewohnheiten prägen, die wir so verinnerlicht haben, dass wir uns dieser im ersten Moment nicht unbedingt bewusst sind, wenn wir darüber nachdenken. Was macht jüdischen Lifestyle aus? Das Zelebrieren des Schabbat-Dinners? Das Einhalten der Mizwot? Eine spezielle Kleidung oder Sicht auf Dinge und Situationen? Oder ist es doch nur der Name?
Berufliche Thematik
Name
Gebet
Kleidung
Einhaltung der wichtigsten jüdischen Feiertage
Die Art und Weise, wie über Jüdinnen und Juden gesprochen wird, bestimmt maßgeblich ihre Wahrnehmung durch die nicht-jüdische Gesellschaft. Dabei sind die Beschreibungen oft sehr einseitig, vereinfacht oder historisierend und bilden nicht die Wirklichkeit jüdischer Identitäten heute ab. Diese Bilder werden beispielsweise durch Darstellungen in Film und Literatur, aber auch durch die Medien und unser Umfeld zu Narrativen, zu Erzählungen über ‚die Judenʻ, ausgebaut. Dabei ist der Blickwinkel zumeist ein nicht-jüdischer. Jüdische Stimmen und Perspektiven erfahren noch lange nicht so viel Aufmerksamkeit wie nicht-jüdische Blickwinkel auf Jüdinnen und Juden und das Jüdisch-Sein. Wissenslücken und fehlende Kenntnisse können zudem dazu führen, dass stereotype Bilder bestätigt anstatt abgebaut werden. Dabei wäre es doch so schön, wenn wir einander als Menschen begegnen würden, unabhängig von unserer Kultur oder unserer Religion, oder?
Hörner
Nur auf sich selbst schauen
Überall Einmischung
George Soros als Verursacher des 1. Weltkriegs
Wie wir uns kleiden kann Ausdruck religiöser, sozialer oder kultureller Zugehörigkeit, Tradition, politisches Statement oder individuelle modische Vorliebe sein. Kleidung transportiert Werte und Normen, kann ein Element des Schutzes oder des Schmuckes sein, zum eigenen Wohlfühlfaktor beitragen oder kann in soziale Hierarchien einordnen. Somit ist Kleidung ein sowohl inkludierendes als auch exkludierendes Element. Im Judentum gibt es wie in jeder Religion Bekleidungsvorschriften. In der Thora sind jedoch nur der Gebetsschal (Tallit) und dessen Schaufäden (Zizit) festgeschrieben. Für männliche Juden gilt das Gebot, beim Gebet den Kopf zu bedecken, für Frauen, ihr Haupthaar in der Öffentlichkeit nicht zu zeigen. Andere Bekleidungsregeln sind jünger: So ist das Tragen der Kippa ursprünglich keine Regel, sondern ein Brauch, der sich im 16. Jahrhundert entwickelt hat und zum Gebot wurde. Ob und wie diese Vorschriften im Alltag umgesetzt werden, hängt vom kulturellen und sozialen Umfeld ab und ist heute auch eine individuelle Entscheidung. Bestimmte, als jüdisch konnotierte Accessoires oder Kleidungsstücke zu tragen oder auch bewusst wegzulassen, ist nicht nur Ausdruck persönlicher Vorlieben oder der Wunsch, seine Zugehörigkeit sichtbar nach Außen zu transportieren. Auch die Angst vor antisemitischen Übergriffen ist ein Grund, auf das Tragen jüdischer Symbole zu verzichten.
Gefühle wecken
Kreativität
Lieblingsstück > Quantität
Seidig
Trends nacheifern
Einhalten von Kleidervorschriften
Das jüdische Recht, die Halacha, definiert, dass jemand Jüdin oder Jude ist, wenn sie oder er eine jüdische Mutter hat. Dennoch ist dies nicht der einzige Weg, Jüdin oder Jude zu werden oder jüdisch zu sein. Während in Deutschland die Stellung der sogenannten ‚Vaterjudenʻ umstritten ist, sind Personen, die einen jüdischen Vater haben, in anderen Ländern und in liberalen Gemeinden als Jüdinnen bzw. Juden anerkannt und müssen keinen formellen Übertritt (Giur) machen. Heute ist es möglich, anhand der DNA bestimmen zu lassen, ob und welche ‚jüdischen Gene‘, also Anomalien, die besonders unter aschkenasischen (mitteleuropäischen) Jüdinnen und Juden verbreitet sind, man trägt. Allerdings ist das Judentum auch zu einem wesentlichen Teil durch Vorschriften (Mizwot) bestimmt. In der Tora stehen neben den Zehn Geboten insgesamt 365 Verbote und 248 Gebote, an denen sich ein jüdisches Leben orientieren soll. Ist man also jüdisch, wenn man jüdisch lebt? Und ist man in Israel, einer Gesellschaft, wo die Mehrheit jüdisch ist, mehr oder weniger jüdisch als in Deutschland, wo Jüdinnen und Juden eine kleine Minderheit der Bevölkerung ausmachen? Denn wie und wodurch man jüdisch ist, wird nicht nur durch die Selbstsicht, sondern auch von Außen bestimmt.
Jüdische Gene
Jüdische Mutter
Jüdisches Elternteil
Jüdisch Leben
Jede:r ist ein bisschen nichtjüdisch
IDEE UND KONZEPT
Dr. Barbara Staudinger, Senem Aydin,
Elisabeth Gundlach, Ines Molz
und Rebekka Utesch
KURATION
Dr. Barbara Staudinger, Elisabeth Gundlach, Ines Molz und Rebekka Utesch
GESTALTUNG
Lia Bach, Raphael Zöschinger
HERAUSGEBER
Jüdisches Museum
Augsburg Schwaben
Halderstraße 6-8
86150 Augsburg
Tel. 0821-513658
office@jmaugsburg.de | www.jmaugsburg.de
KOOPERATIONSPARTNER